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Petros Markaris: Der Großaktionär

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2017-01-31 2017-04-24 31.01.2017

Seine Tochter Katerina, die frisch gebackene Doktorin der Rechte, zusammen mit ihrem Freund auf einer auf dem Weg nach Kreta entführten Fähre in den Händen von Terroristen, während er zu Hause in Athen Mordfälle in der Fernseh-Werbebranche lösen muss: Nicht nur als Kommissar wird Kostas Charitos in Petros Markaris’ neuem Krimi mit Gewalt und Terror konfrontiert. In „Der Großaktionär“ kommt das Böse dem Athener Kommissar mit dem Faible für unorthodoxe Ermittlungsmethoden gefährlich nahe. Gewohnt spannend und rasant, sarkastisch und mit vielen Seitenhieben auf den griechischen Alltag jenseits gängiger touristischer Klischees, aber immer auch humorvoll und mit einem Augenzwinkern verwebt der 1938 in Istanbul geborene und heute in Athen lebende Markaris, Verfasser von Theaterstücken, Schöpfer einer Fernsehserie, Co-Autor des Filmemachers Theo Angelopoulos und Übersetzer, in seinem Buch die beiden unterschiedlichen Verbrechen.

Mit der bestandenen Hochschul-Abschlussprüfung seiner Tochter – an deren Werdegang hat der Leser bereits in Markaris’ bisherigen Krimis „Hellas Channel“, „Nachtfalter“ und „Live!“ Anteil nehmen können – geht für Kommissar Kostas Charitos zu Beginn von „Der Großaktionär“ ein Traum in Erfüllung. Bevor Katerina die Richterinnen-Laufbahn einschlägt, so die natürlich nicht in Erfüllung gehende Vorstellung ihres Vaters, soll sie in einen wohlverdienten Urlaub nach Kreta starten. Auch daraus wird nichts: Die Fähre wird mit 300 Passagieren an Bord von maskierten Unbekannten überfallen und in ihre Gewalt gebracht. Handelt es sich um Tschetschenen, Palästinenser oder Islamisten? Die Kidnapper halten sich bedeckt. Schlimm für Charitos, dass er bei den Ermittlungen der Antiterrorabteilung auf Kreta das Feld seinem Chef Gikas und seiner Frau Adriani überlassen muss, da ihn ein Mordfall zurück nach Athen ruft.

Dort wurde in dem inzwischen zu einer Müllhalde verkommenen olympischen Sportkomplex Faliro ein Mann erschossen aufgefunden, der als Fotomodell in der Werbebranche tätig ist. Auch beim zweiten Mordopfer, das im ehemaligen olympischen Ruder- und Kanuzentrum in Schinias gefunden wird, handelt es sich ebenfalls um ein TV-Model. Abgelenkt von seiner eigenen Sorge um Katerina tappt Charitos lange Zeit im Dunkeln und auf falschen Fährten, bis sich schließlich herausstellt, dass mit den Morden offenbar die Einstellung sämtlicher Werbeprogramme im Fernsehen erreicht werden soll.

Bis es ihm schließlich gelingt, den mysteriösen Fall zu lösen und seiner Tochter beim Verarbeiten des während der Entführung Erlittenen zu helfen, ist es in „Der Großaktionär“ noch ein weiter Weg, der den Kommissar auch dazu führt, über sich selbst und seine Polizeiarbeit nachzudenken. Dass Markaris seine sehr lebensnahen Figuren nicht glatt nach Gut und Böse, Opfer und Täter einteilt, sondern gleichermaßen als zumeist rätselhafte und gebrochene Charaktere präsentiert, ist neben der mit Sozialkritik gewürzten spannenden Erzählweise eine Stärke der Krimis. Nachdem seine ersten Krimis vor allem im deutschsprachigen Ausland große Erfolge waren, stürmen die Bücher von Markaris inzwischen auch die Bestsellerlisten in Griechenland.

„Ich bin kein gebürtiger Athener und betrachte Griechenland distanziert, lasse mich nicht emotionell verführen“, sagt Markaris bei einer Vorstellung von „Der Großaktionär“ in der Stadtbücherei Stuttgart. Der Übersetzer von Brecht, Wedekind, Kroetz, Bernhardt, Schnitzler und Goethe unterstreicht dabei den Einfluss Bertolt Brechts auf ihn: „Brecht hat mich gelehrt, wie man als Betrachter schreiben kann.“ In Istanbul, wo er als Sohn einer Griechin und eines Armeniers geboren wurde, reagiere er dagegen immer emotionell. „Und das nicht nur, weil Istanbul meine Heimatstadt ist, sondern meine Heimat per se ist. Ich kenne keine andere Heimat“, stellt der Krimiautor fest, der als Kind eine deutschsprachige Schule in Istanbul besuchte und von 1960 bis 1965 unter anderem in Wien lebte. Er sei bereits gespannt, ob er auch dann die Distanz schaffe, wenn er in seinem nächsten Buch über Istanbul schreibe, das er in seiner Kinder- und Jugendzeit „weltoffen und kosmopolitisch“ erlebt habe. Doch Kommissar Kostas Charitos binde ihn inzwischen an Athen, erklärt Markaris. Er liebe diese Stadt vor allem in der Nacht, dann sei Athen viel schöner als bei Tag, sagt der Autor, der in einem Kapitel von „Der Großaktionär“ den Kommissar auf nächtliche Entdeckungstour gehen lässt.

In seinen Krimis spielen die griechischen Medien – vor allem das Fernsehen mit seinen Werbeblöcken – stets eine große Rolle. „Es gibt zwei Realitäten, die virtuelle und die reale Welt. Heute überwiegt nicht mehr, was passiert, sondern was das Fernsehen darüber sagt“, meint Markaris, der die Werbung als das „Insulin des Business“ bezeichnet.

Neben sozialen Missständen, die Markaris in seinen Büchern beschreibt, thematisiert er in seinen Büchern immer wieder auch geschichtliche Ereignisse in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. In „Der Großaktionär“ bringt Lambros Sissis, ein Kommunist, den Charitos einst während seiner Polizeiausbildung im Junta-Gefängnis kennen lernte, den Kommissar nicht nur auf die Spur des Täters. Nachdem in früheren Krimis das Verhältnis zwischen dem Kommissar und Sissis, obwohl sie aus verschiedenen politischen Lagern kommen, durch gegenseitigen Respekt und gegenseitige Wertschätzung geprägt ist, kommt es diesmal sogar zu einer freundschaftlichen Begegnung zwischen ihnen. Markaris: „Griechenland ist ein Land der Geister. Sissis ist ein solcher Geist. Er erinnert daran, dass wir Griechen unsere Geschichte nicht gerne verarbeiten wollen. Wir Griechen vergessen, ohne zu vergeben.“

Petros Markaris: Der Großaktionär. Ein Fall für Kostas Charitos.
Roman.
Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger.
Diogenes Verlag.478 Seiten.

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